Teil VIII: Komm, wir investieren in Gold
Stehen Sie aktuell auch vor der Gewissensfrage, ob Sie lieber in Gold statt in Aktien oder Kunst investieren sollten? Ich würde mir auch gerne ernsthafte Sorgen um das Fundament meines Anwesens machen müssen, weil das Gewicht meines privaten Golddepots im Keller dem Gebäude so langsam schwer zu schaffen macht. Auch entstauben sich die Goldbarren leider nicht von allein, und vertrauenswürdiges Personal ist auch nicht mehr leicht zu finden. Solche Luxusprobleme habe ich aber nicht. Ich bin froh, wenn ich finanziell von Monat zu Monat über die Runden komme. Ich wüßte von niemanden in meinem unmittelbaren Umfeld, der sich aktuell in solch einer Prekären-Investment-Situation befindet: wohin nur mit dem Geld?
Aber vielleicht mache ich ja prinzipiell etwas falsch? Möglicherweise ist mein moralischer Kompass einfach zu sehr auf Ethik und Empathie ausgerichtet?
Vor ein paar Tagen hörte ich in einem öffentlich-rechtlichen Radiosender, während ich Zuhause Geschirr spülte. Im Nachmittagsprogramm gab es Tipps und Informationen zum Investieren in Gold. Ich dachte mir: wenn das Investieren in Edelmetall scheinbar so allgemein ist, dann kann die Situation da draußen doch gar nicht so schlimm sein. Aber was ist mit all den Menschen welche Woche für Woche hart arbeiten, wie in der Pflege, im Gesundheitswesen, in der Gastronomie, in der Erziehung, im Einzelhandel, im Transport, der Logistik und so weiter? Können sich diese Menschen wirklich ernsthafte Gedanken über ein mögliches und rentables Gold Investment machen? Oder verdienen schlußendlich wieder ein paar wenige Personen an der Hoffnung vieler?
Geschenkte Träume
Oder geht es nur um ein wenig Träumen? Will mir der Radiosender für einen kurzen Moment das Gefühl schenken, mir vorstellen zu dürfen, wie das wohl wäre, in Gold investieren zu können? Wie wäre es, wenn ich meinen imaginären Vermögensberater anrufen würde, und sagen würde: „Komm, wir investieren in Gold“. Ist es dieser kurze Moment, wo mir der Traum das warme Gefühl von Gold, Wohlstand und Reichtum kurz in den Schoß legt?
Ich frage mich gerade, was geschieht, wenn sich durch regelmäßiges Träumen von Wohlstand, sich viele Menschen irgendwann daran gewöhnen von Wohlstand nur noch zu träumen, anstatt selbst darin zu leben oder ihn real einzufordern. Wer soll dann noch kritisch hinterfragen: Warum fast alles Vorhandene auf dieser Welt, immer unfairer unter den Menschen verteilt wird?
Verkaufte Träume
Möglicherweise bedeutet Kapitalismus heutzutage aber davon träumen zu dürfen, auch ein Teil vom längst verteilen Kuchen besitzen zu dürfen. Träume lassen sich auch brillant als Produkt auf allen Ebenen vermarkten. Außerdem sind sie an jede Person, also Konsumenten individuell anpassbar. Dabei sind die Bedürfnisse theoretisch in die Unendlichkeit skalierbar. Dies lässt das Herz der Wirtschaft und Industrie auf allen Ebenen natürlich höher schlagen. Alles wird dabei zum Produkt, auch der Mensch und all seine Bedürfnisse, Hoffnungen, Gedanken, Ängste und Träume.
Ausgeträumt
Wenn dies nun so ist, würde es mir erklären, warum so viele Menschen frustriert, wütend, ängstlich, ohne Orientierung, hoffnungslos durch die Welt aktuell gehen. Leider ist es für viele sehr abstrakt zu verstehen, dass der Wunsch nach ein wenig Besitz, einhergehend mit dem eigenen kleinen Glück als Versprechen in dieser Gesellschaft scheinbar nicht mehr wirklich funktioniert. Ich persönlich empfinde es als legitim, wenn man in seinem Leben sich dafür entscheidet eine Ausbildung zu machen oder zu studieren, sich einen Job zu suchen, eine Familie zu gründen und ein kleines Eigenheim zu wollen. Was aber, wenn die meisten Menschen nicht mehr in der Lage sind, sich ihr eigenes kleines Glück und Wohlstand zu finanzieren? Was, wenn es egal ist, wieviel sie arbeiten oder an beliebiger Stelle investieren? Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn Bildung und Leistung nicht mehr die Werte besitzen, auf den man sich geeinigt hat. Ist Lebenszeit im Tausch gegen Arbeitszeit für Geld als Tauschmittel nicht das, worauf sich alle mehr oder weniger freiwillig oder unfreiwillig geeinigt haben?
Edelmetall-Träume statt Ethik und Empathie
Hinzu kommt, dass man doch immer mehr Armut auf den Straßen sieht. O. K., ich wohne in Offenbach am Main, das ist jetzt nicht umbedingt als das Beverly Hills von Hessen bekannt. Aber auch in anderen Städten sieht man überall immer mehr Armut, wenn man hinschaut. Wie kann das sein, in einem der vermögendsten Länder der Welt? Ich wurde zum Beispiel gestern von einem älteren Herren freundlich auf der Strasse angesprochen. Er fragte mich nach Essen. Ich kam mit dem Herrn kurz ins Gespräch. Er war freundlich, höflich, machte einen gebildeten Eindruck, aber war sichtlich sehr arm. Mich nahm dieses Gespräch sehr mit. Es ist auch der Grund, warum ich diesen Beitrag in meinem Künstler-Blog gerade verfasse. Mir bricht es das Herz, wenn ich diese immer größer werdende Armut um mich herum sehe. Es ist ja nicht so das zu wenig für alle da wäre. Es wird nur verdammt unfair alles verteilt.
Die Unterhaltung mit dem Herren fand übrigens vor einer Neubausiedlung neben einem teuren Biosupermarkt statt. Ich bin dort zufällig vorbeigelaufen auf meinem Spaziergang. Diese Wohnviertel ist gebaut wie eine Burganlage. Da winkt uns das Mittelalter in Form von Eigentumswohnungen für die Reichen und Wohlhabenden ein wenig zu. Auf mich machen diese modernen Wohnquartiere den Eindruck, dass diejenigen, welche es sich leisten können, sich dort vor denjenigen schützen und verschanzen, welche es sich nicht leisten können, dort zu leben. Wo das hinführt, wenn immer mehr Menschen arm werden, hoffnungslos und nichts zu verlieren haben, kann man sehr deutlich an der deutschen Geschichte sehen. Mir macht dies große Angst. Aber scheinbar den meisten Menschen in dieser Gesellschaft nicht, solange man noch immerhin ein wenig von Gold, Wohlstand und Reichtum träumen darf.
Alles Gute.