Florian Albrecht-Schoeck

Teil IV: „Das Nadeldrucker-Orakel lässt viele Grüße vom Metzger ausrichten.“
Warum Kunst? Ich hätte möglicherweise niemals Kunst studiert, wenn ich damals auf einen Nadeldrucker gehört hätte. Mehr im Blog Artikel.
4. November 2021

Teil IV: „Das Nadeldrucker-Orakel lässt viele Grüße vom Metzger ausrichten.“

Ich hatte vor einigen Wochen einen Moment, welcher mich sehr erschrocken hat. Nach einigen Arztbesuchen ist nun alles glücklicherweise gut. Aber allein die Tatsache, dass ich ziemlich direkt mit meiner eigenen Vergänglichkeit konfrontiert wurde, lässt mich der Stress der letzten Wochen gerade über vieles nachdenken. Vor allem: was will ich auf diesem Planeten überhaupt? Weil irgendwann ist es zu Ende mit mir, so oder so. Beim Grübeln ist mir meine Geschichte vom „Metzger“ heute Morgen eingefallen. Ich erzähle die Geschichte gerne mit dem Moment zusammen, als ich vor vielen Jahren mein Kunststudium abschloß. Noch während der Diplomverleihung damals musste ich an meine Metzger-Geschichte denken. Ich hätte möglicherweise niemals Kunst studiert, wenn ich auf einen Nadeldrucker gehört hätte.

Das Nadeldrucker-Orakel
Ich war 15 Jahre alt und in der neunten Klasse einer Gesamtschule. Keine Ahnung, ob das heutzutage immer noch so üblich ist, aber ich musste mit meinen Klassenkameraden gemeinsam das örtliche Arbeitsamt besuchen, um eine mögliche Vision unserer beruflichen Perspektiven zu erhalten. Ich erinnere mich noch daran, wie ich an einem alten Computer mit 14“ Röhrenmonitor mit einem ordentlichen Gelbstich, in einem sogenannten Berufs-Informations-Zentrum saß. Die dominierenden Farben im Raum waren Orange, Hellbraun, Grau und ich meine es war ein dunkelblauer Synthetik-Teppichboden, welcher den Raum schmückte, so gut er konnte. Jeder Tastenanschlag auf der in die Jahre gekommenen Tastatur glich dem Geräusch eines Kometen Einschlages. Ich versuchte die Fragen zu beantworten und drückte jedes Mal dafür die zutreffende knarrende Taste an der in die Jahre gekommene Tastatur. Viele aus meiner Schulklasse waren sichtlich schneller beim Beantworten der Fragen als ich. Ich beobachtete, wie sie aufgeregt auf ihre Testergebnisse am laut zirpenden Nadeldruckern warteten. Mit den ausgedruckten Ergebnissen erhielten sie an einem gekennzeichneten Infostand dann Informationsmaterial oder durften sogar Filme zu ihren Ergebnissen sich anschauen. Heutzutage sind Videos nichts Besonderes. Aber Mitte der 90er-Jahre waren Videos, welche auf Schallplattengroßen Video Laserdiscs in die vorgesehenen Player eingelegt wurden, noch was Besonderes. Ich habe immer noch die Bilder im Kopf wie ein Mitarbeiter Vorort diese riesen Discs in die zugehörigen Player legte und auf „Play“ drückte. Jedoch fühlte ich mich mit zunehmender Zeit unwohl und überfordert an diesem Ort.

Pappkamerad stillgestanden!
Ich fragte mich irgendwann, was soll das hier alles? Mich verunsicherte zusätzlich ein Infostand der Bundeswehr im Foyer des Berufs-Informations-Zentrums, wenn ich mich richtig erinnern kann. Da stand ein Mann im Anzug. Flankiert von Papp-Ausstellern mit Panzern und Flugzeugen darauf abgebildet stand er so da rum. Dieser Herr war, denke ich so Anfang dreißig. Für mich als 15-Jähriger ein alter Mann, der scheinbar orientierungslose junge Männer wie mich abwerben wollte, damit sie zu Kampf Maschinen ausgebildet werden können. Ich fand die Idee mal ein Panzer zu fahren prinzipiell ganz interessant. Aber ich hatte damals schon lange braune Haare, trug abgeschnittene Armee Hosen, hörte New Yorker Hardcore Bands wie Biohazard, spielte selbst E-Bass, weil alle anderen Instrumente leider im Freundeskreis bereits besetzt waren. Außerdem war ich schon früh überzeugter Vegetarier.

Mein erster analoger digital Schock
Ums so mehr irritierte mich mein digital errechneter und mithilfe des Nadeldruckers in die analoge Welt überführter Jobvorschlag: Metzger. Ich stand ein wenig unter Schock. Ich stellte mich mit diesem Stück Papier mit den zahllosen Löchern an den Aussenrändern auf dem Metzger stand am Info-Punkt an. Kaum war ich dran, überreichte ich meinen Zettel. Auf die Frage hin, ob ich ausführliches Informationsmaterial über den Ausbildungsberuf des Metzgers erhalten möchte, empfand ich nicht nur die Frage als unangebracht. Ich empfand mich in dieser Welt völlig unangebracht. Ich stand in diesem Amt und all meine Ideale und Interessen schienen bei der Suche nach meinem Platz in dieser auf Arbeit aufbauende Gesellschaft keine Rolle zu spielen. Das Angebot lehnte ich dankend ab. Ich ging zu meinen Lehrern und erzählte von meinem Resultat: Metzger. Ich führte kurz aus, dass ich zwar ab und zu Fisch esse, aber ansonsten nichts, was man allgemein als Fleisch bezeichnen würde. Während meines Versuches meinen Unmut zum Ausdruck zu bringen, merkte ich schnell es interessierte hier niemanden wirklich was ich fühlte. Also entschloss ich zu gehen. Beim Herausgehen zerknüllte ich den Zettel, warf dem Menschen am Bundeswehr Stand meinen möglichst bösesten Blicke zu und verlies das Gebäude.

Alternative: Metzger
Ich hatte natürlich als 15-Jähriger zum Ende des neunten Schuljahres andere Probleme anstatt mich um meine Zukunft zu kümmern. Ich erhielt von Zuhause weder Druck noch Unterstützung. Das wird schon werden, dachte ich mir. Ein paar Wochen vor der Zeugnisvergabe mussten wir einen Stuhlkreis bilden. Der Reihe nach sollte jede Person erzählen, was man nach der neunten Klasse vorhat. Viele wollten die Schule weiter machen, Abitur und dann studieren. Einige erzählten von ihren Plänen eine Ausbildung zu beginnen. Ich war dran. Ich sagte: vielleicht was mit Musik, Technik oder Design, aber eigentlich wüsste ich es nicht wirklich. Ein Blick musterte mich, blieb kurz mit den Augen an meinem feuerroten Lieblings-Shirt hängen, das ich trug, auf dem das Konterfei von Ernesto Che Guevara abgebildet war und der Schriftzug der Band: Rage Against The Machine zu lesen war. Die Augen meines Lehrers trafen auf meinen irritieren Blick und wenn ich mich richtig erinnere sagte man zu mir: Mach doch eine Metzger-Ausbildung, wenn du nicht weißt, was du willst? Ich schwieg. Ich sagte so lange nichts bis jemand neben mir von seiner Bäcker Lehre begann zu sprechen. Nicht das es falsch verstanden wird, wenn jemand solch einen Beruf erlernen möchte, finde ich das natürlich voll O. K. Das war damals auch schon meine Ansicht, es war aber nicht meins. Ich erinnere mich heute noch, wie damals wieder das Gefühl und der Gedanke da war: Warum fragt hier eigentlich niemand mal mich, was mich interessiert. Bin ich wirklich mit all den Dingen, die mich als Menschen ausmachen, wirklich so fehl am Platz? Das frage ich mich oft ab und an heute immer noch.

Viele Grüße vom …
Ich muss gestehen, dass ich eigentlich vorhatte meine Diplom-Urkunde zu kopieren und handschriftlich „Viele Grüße vom Metzger“ darauf zu schreiben und an meine Lehrer von früher zu schicken. Na ja, vielleicht mach ich das noch.

Alles Gute.

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