Florian Albrecht-Schoeck

„Lockdown Medium“
Lockdown Medium: Künstler Blog von Florian Albrecht-Schoeck
9. Dezember 2020

„Lockdown Medium“

Was ein „harter Lockdown“ ist, weiß ich seit diesem März. Der „Wellenbrecher: Lockdown light“ ist mir seit diesem November bekannt. Gibt es eigentlich auch einen „Lockdown medium“? Also ein Zwischending aus hart und light? Ein auf Fakten beruhendes Urteilen, kombiniert mit einem erkenntnistheoretischen Handeln? Schon klar, wir waren alle sehr überrascht, dass nach dem Sommer erst der Herbst und dann der Winter kam, das konnte niemand voraussehen.
Sonst hätte man vielleicht früher „alles“ dichtmachen können? Auch Orte einzelner Wirtschaftsgruppen, mit starker Lobby in der Politik.

Ich bin Künstler und kein Automobilhersteller, das ist eine Tatsache, daran bin ich ganz allein schuldig. Aber auch ich bin ein Teil dieser Gesellschaft, so wie der Automobilhersteller. Und ich verstehe auch, dass ein Autohaus mit Hygienekonzept was anderes ist als ein Museum mit Hygienekonzept. Und die Schulen? Wie lange lässt man Kinder, Jugendliche und Lehrer zum wohle der Wirtschaft noch in kalten Klassenzimmern sitzen (vorausgesetzt es gibt Fenster, die sich überhaupt öffnen lassen!). Ach so, 2020 ist die Digitalisierung der Schulen in Deutschland auch ein spannendes und wichtiges Thema überraschend geworden. Gemeinsam mit der globalen Erderwärmung hat man es für den Bundestag im Jahre 2090 auf die Agenda ganz oben gesetzt =) Das wird super versprochen!

Spaß beiseite, die Situation ist für Alle anstrengend, das ist klar. Das sieht man auch stellenweise bei der Exekutive in diesem Land. Dort war man nicht darauf vorbereitet: Wasserwerfer, Pfefferspray und Gewalt gegen Demonstranten einzusetzen, die weder der Antifa noch irgendwelchen anderen linken Gruppierungen zuzuordnen waren. Aber zum Glück konnte man in einem Waldstück in Hessen wieder seine Routine mit „linken Chaoten“ unter Beweis stellen. Gewohnte Feindbilder wie ökologische Autobahnausbaugegner haben manchmal auch was Gutes für sich.

Da kommt mir gerade die Offenbacher-Stadtgrenze in den Sinn. Jetzt, während der Ausgangssperre, ab kommenden Freitag, könnte die Exekutive doch diese für eine Art Konfrontationstherapie nutzen. Da könnten die Beamten einfach mal von 21:00 bis 05:00 Uhr zu jedem sagen, den sie antreffen: „Stop, warum sind Sie nicht zu Hause?“. Über den Dialog zurück zur Gesellschaft, das wäre doch mal was?

Jedoch muss ich gestehen, dass ich mir nie erträumt hätte, eine Ausgangssperre in Offenbach selbst mal mit zu erleben. Klar, etwas zynisch könnte man sagen, dass das leben in Offenbach immer eine Art Ausgangssperre ist. Ich kann versichern, dem ist nicht so. Aber ich möchte die Situation zum Anlass nehmen mich bei allen zu bedanken, die seit März es scheinbar immer noch nicht gecheckt haben oder checken wollen, dass wir in einer Pandemie leben. DANKE für euer verantwortungsloses Handeln und die damit kommende Einschränkung meiner Freiheit.

Aber egal, es kommt ja Weihnachten, das wird super! Ich bin da ganz zuversichtlich. Der Cashflow bei den großen Anbietern läuft Dank Hilfe vom Internet und unterbezahlten Paketzustellerinnen und Paketzustellern sensationell. Aber ey, das Schöne an Weihnachten ist doch: Im Herzen sind wir trotz Distanz, uns allen ein wenig näher. Als systemrelevante Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer in Logistik, Verkauf, Pflege oder Gesundheitswesen macht ein anerkennendes Klatschen und weihnachtliche Nächstenliebe natürlich eine schlechte Bezahlung vergessen.

Aber nach diesem bisher fiesen Jahr vielleicht Etwas was Mut macht: vor der Pandemie war schon vieles mehr als fragwürdig. Und ja, dieser Begriff klingt etwas antiquiert, ist aber leider aktueller den je: Verteilungskampf. Es geht um Geld, Macht, Politik, Einfluss usw. Diese Zeit hat viele auf den Plan gerufen, die versuchen die Chancen der Zeit zu nutzen. Dabei wirkt Angst, Wut und Unwissenheit für viele Ideologien als Nährboden. Wir haben alle Probleme und Unsicherheiten: Jeder von uns ist für sich, aber niemand ist allein, das sollte man nicht Vergessen. Daher würde ich mir wünschen, dass man mit Empathie die Sorgen und Ängste seiner Mitmenschen zu verstehen versucht. Aber auch klar Position gegen faschistische, rassistische oder antisemitische Weltansichten bezieht, die vielerorts völlig irrational aus Angst, Furcht, Dummheit oder Unwissenheit entstehen.

Bleibt gesund. Niemand ist alleine.
Schöne Feiertage (trotzdem!)

Florian

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