Zum Zeitpunkt, wo ich das hier schreibe, bin ich Mitte vierzig. Mein Alter beinhaltet unter anderem zwei Fakten, welche vorab vermutlich in Bezug auf diesen Blog-Beitrag wichtig sind:
Erstens: ich kenne die Welt noch ohne das sogenannte Internet.
Zweitens: ich habe die Entwicklung des Internets, so wie wir es kennen, von Beginn an miterlebt.
Natürlich schreibe ich all dies hier aus einer individuellen Perspektive. Dabei habe ich kein Interesse daran, recht zu haben und meine Meinung anderen aufzudrängen. Ich möchte mich nicht selbst darstellen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Ich verfolge auch keinerlei finanzielle Interessen mit diesem Blog-Beitrag. Also all das, wofür das Internet überwiegend aus meiner Perspektive heute noch steht: Populismus, Selbstdarstellung und vor allem Profitmaximierung. Dabei ist die Profitgier so immens, dass es scheinbar keinerlei moralischen und ethischen Grenzen mehr gibt, und jedes Mittel für Cashflow oder Reichweite legitim erscheint.
Mein erstes Mal im Internet
Ich rollte das schwarze Telefonkabel vorsichtig von der Telefonbuchse im Flur aus, bis in mein Zimmer. Dort angekommen, steckte ich das Kabel in ein 14.400-Baud-Modem. Dieses Modem versprach meinen Zugang ins WWW, ins sogenannte World Wide Web. Um die damalige Technik etwas einzuordnen: Laut meiner spontanen Recherche würde ein 90 Minuten Videostream in HD-Qualität, mit einem Modem aus dieser Zeit ca. 767 Stunden, also 32 Tage zum Herunterladen benötigen! Was wir heute als selbstverständlich auf Knopfdruck in Echtzeit abrufen, hätte vor einigen Jahren über einen Monat Wartezeit besessen. Von einer vermutlich riesigen Telefonrechnung mal ganz zu schweigen. Denn damals bezahlte man noch pro Sekunde oder Minute, in der man im Internet war.
Man war auch damals bewusst, woanders, an einem anderen Ort, im Internet. Dies war ein Verband von vielen Rechnern, verbunden quer über den Planeten. Heute scheint das Internet überall bei uns zu sein, was bei genauerem Betrachten mehr als beunruhigend auf mich wirkt.
Nun musste ich den Rechner noch mit einem Kabel mit dem Modem verbinden und fertig. WLAN gab es natürlich so wie heute auch noch nicht. Jetzt nur noch ins Internet einwählen mit dem Modem. Wer diesen Klang nicht kennt, bei Wikipedia, kann man es sich anhören: Datei:Dial up modem noises.ogg. So klang es jedes Mal, wenn man sich ins Internet eingewählt hat. Es war so aufregend.
Ich war verbunden. Verbunden mit der ganzen Welt. Ich wusste gar nicht, was ich machen soll. Wo soll ich hin? Suchmaschinen wie heute gab es nicht. Was möchte ich wissen? Oder was möchte ich mit der Welt teilen? Wie kann ich etwas teilen?
Wenn ich mich richtig erinnere, war die allererste Webseite, welche ich in den 90er Jahren besuchte, die eines Videospiel-Unternehmens in Japan. Für mich war dies Science-Fiction pur. Ich saß in meinem Zimmer irgendwo mitten in Deutschland, war aber auch ein wenig in Japan zur gleichen Zeit.
Ausgehend von diesem Moment lernte ich Programmiersprachen, welche für das Internet damals von Relevanz waren. Ich baute Webseiten mit auf und beobachtete, wie viele Menschen weltweit idealistisch begannen, miteinander zu interagieren, und das grenzenlos, im wahrsten Sinne des Wortes. Man tauschte sich aus, begann Wissen für Menschen überall auf der Erde gleichermaßen zugänglich zu machen. Das war großartig, alle, die da waren, waren willkommen. Es war wie bei der Erkundung und Besiedlung eines neuen Kontinentes. Dies anfangs ohne Eigentümer und Gewalt. Das sollte sich aber leider schnell ändern.
Eigentum, Gier und Gewalt – was ist das Internet heute?
Natürlich hat es nicht lange auf sich warten lassen, dass die Möglichkeiten, welche diese Technologie mit sich brachte, auch Kriminelle und Betrüger anlockten. Ich möchte an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass es viele sehr interessante sozialwissenschaftliche wie auch juristische Literatur zu diesen Themen im Internet oder Bibliotheken zu finden gibt. Ich möchte den Fokus auf eine andere Form der Gewalt und Gier in diesem Blogartikel lenken, welche aus meiner Perspektive das Internet, so wie ich es kannte, versucht bis heute sich zu eigen zu machen. Eine lockere Fragerunde dazu zum Warm-up:
- Mit welchem Dienst, App, Webseite oder Plattform kommunizieren Sie mit Freunden, Bekannten, KollegInnen usw.?
- Mit welchem Dienst, oder Anbieter schreiben, empfangen und versenden Sie E-Mails?
- Mit welcher App oder Webseite schauen Sie sich Nachrichten, Unterhaltung oder andere Inhalte an oder posten selbst Dinge?
- Welches Betriebssystem läuft auf Ihrem Smartphone, Tablet, Computer, Laptop etc.?
- Mit welchem Dienst, App oder Webseite suchen Sie Dinge im Internet?
Wenn Sie sich jetzt einen Zettel und Stift nehmen und hinter allen Apps und Angeboten, die sie nutzen, die jeweiligen Unternehmen hinter den Apps und Angeboten auf ein Stück Papier schreiben, werden sie eines rasch feststellen: Sie bewegen sich nicht mehr im Internet, unbestimmt und autark. Sie bewegen sich in einem überwiegend von ein paar, teilweise Milliarden schweren Unternehmen geregeltem, Ökosystem. Ein Ökosystem, in dem auch die Hardware, also Smartphones, Computer und sonstige Devices, das Internet als gewissermaßen Revier innerhalb des Angebots des jeweiligen Anbieters abstecken.
Das ist ein riesengroßes Problem: weil das, was Sie vermutlich täglich nutzen, über das Internet zwar funktioniert, das Internet aber eigentlich nicht ist. Es sind große Konzerne, welche sich vor alles andere stellen und so die Sicht auf vieles versperren und suggerieren: Hier ist das Internet. Das letztlich nur aus einem Grund: Kapital erwirtschaften.
Ich würde aktuell auch schon so weit gehen, dass die paar großen Konzerne, welche überwiegend in Amerika und Asien ihr Zuhause haben, wie einst Kolonialstaaten das Internet untereinander aufgeteilt haben. Unbeeindruckt von den Interessen der Menschen und NutzerInnen, die dort leben. Sie tun so, als wären sie miteinander konform, graben sich aber, wo sie können, die NutzerInnen gegenseitig ab. Denn die Daten der NutzerInnen sind das Kapital. Und dank Social-Media produzieren die NutzerInnen fast alle ihre Inhalte auch noch kostenlos und halten sich so gegenseitig bei Laune. Das ist in etwa so, als würden Sie einen TV-Sender betreiben, alles an Infrastruktur zur Verfügung stellen, aber die Zuschauer die Inhalte selbst produzieren. Sie kassieren dann mit der Werbung aber richtig ab und profitieren von den meisten Menschen, die nichts für ihre Bilder, Videos und Beiträge erhalten.
Was ist da im Schatten, hinter den Konzernen und der Aufmerksamkeit- sowie Überwachungsökonomie?
Ich muss an dieser Stelle einen Satz von mir selbst zitieren, welchen ich in den vergangenen Wochen zu meinem besten Freund sagte, als wir an seinem frisch und neu installierten Linux Arbeitsrechner gemeinsam saßen: „ohne Open-Source-Software und alle die Personen, welche das möglich machen, würden wir aktuell in der absoluten digitalen Überwachung leben“.
Warum ist das so?
Ganz einfach: Falls Sie eine Liste zu den zuvor vorhandenen fünf Fragen erstellt haben, wird Ihnen aufgefallen sein, dass Sie, wie bereits erwähnt, sich, mit aller Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Ökosystems eines der großen Tech-Konzerne, in Ihrem Alltag digital bewegen.
Das ist komfortabel, soll es auch sein. Es ist kostenlos, soll auch suggeriert werden, aber glauben Sie mir, nichts ist kostenlos in der der digitalen Welt der Konzerne! Gerne wird diese Erkenntnis mit dem Satz „ich habe nichts zu verbergen.“ beantwortet. Es geht aber um weit mehr. Ein Beispiel gefällig? Mit den von uns allen „kostenlos“ gewonnenen Nutzerdaten, weil man nichts zu verbergen hat, werden demokratische Wahlen beispielsweise im großen Stil beeinflusst. Das ist nichts leider Neues. Hier mal ein Artikel aus dem Jahr 2019, von der Bundeszentrale für politische Bildung dazu .
Wir haben aktuell 2025, das war vor sechs Jahren!
Das Unfassbare an all dem ist ja: Es gibt für alles Alternativen. Gerade mithilfe der Open-Source-Welt habe ich beispielsweise meine gesamte digitale Infrastruktur, weg von großen Konzernen, realisiert. Ich habe die Kontrolle über meine Daten, ich bin unabhängig und vor allem entscheide ich, was damit passiert.
Ob beim Betriebssystemen, Messanger, Cloud-Systemen, Office, Mail-Anbieter usw. Oftmals günstiger, lokal, transparent und umfassender im Angebot. Es ist alles da. Ich habe zwei Tage meines Lebens investiert, um mein digitales Sein von den großen Konzernen zu entfernen. Wenn man will, kann man auch alles zu Hause auf einen Server aufsetzen. Das ist etwas aufwendiger, aber mittlerweile auch kein Hexenwerk mehr. Ich weiß, wer mich kennt, wird jetzt sagen: Aber gerade du predigst doch so viel über die Chancen von KI und Machine Learning. Ja, das tue ich. Ich werde davon auch keinen Abstand nehmen, weil: Ich nutze Open-Source-Software und eigene Server dafür. Unabhängigkeit und Privatsphäre sind möglich. Und ja, ich habe noch einen Instagram Account, aber ich denke, das auch nicht mehr lange, weil ich dort auch keinen Mehrwert für mich mehr erkennen kann, außer Daten für Werbetreibende zu produzieren.
Das Problem liegt oftmals bereits bei den Browsern, also der gewissermaßen Tür ins Internet
Um mich jetzt aber nicht nun in technischen Einzelheiten zu verstricken, an dieser Stelle noch ein Hinweis auf ein grundlegendes Problem: womit gehen Sie ins Internet, wenn Sie nicht eine App auf ihrem Smartphone beispielsweise nutzen? Richtig, einen Browser, und da gibt es das nächste Problem: Es gibt kaum Browser, welche nicht ebenfalls ihr Verhalten aufzeichnen, Tracking betreiben, Werbung unterstützen, analysieren usw. Es ist eine Tragödie, wie sich all die überwiegenden Konzerne positioniert haben und aus einer guten Idee welche das Internet anfangs inne hatte, ein neoliberales kapitalistisches Paradies für sich errichtete. Wenn man sich generell mit der Thematik beschäftigen möchte, wie das mit dem Tracking und der Werbung funktioniert, kann ich dieses Video empfehlen anzuschauen:
Sicher und privat surfen: Werbebanner und -tracker blockieren | c’t uplink
(Das Video ist auch auf YouTube verfügbar, von c’t uplink, ich bevorzuge persönlich ihre Peertube-Instanz von c’t uplink)
Zum Schluss ein wenig Hoffnung und Entschlossenheit
Ich habe nach dem ersten Absatz bereits gemerkt, dass dieses Thema viel zu groß und komplex wird. Auch wird es nicht möglich sein, all die Thematiken in einem Blog-Beitrag auf der Webseite eines Künstlers, also mir hier komplett zu behandeln. Aber irgendwo muss ich mal anfangen, darüber zu sprechen. Ich weiß natürlich nicht, wie es Ihnen geht, aber ich ertrage die meisten sogenannten Social-Media-Plattformen, Apps und Webseiten nicht mehr. Werbung, Hass und furchtbar unerträgliche Inhalte fliegen da einem um die Ohren, um mit einer Mischung aus Aufmerksamkeit-Ökonomie und Überwachungs-Kapitalismus einen bei Stange zu halten, um Werbung auszuspielen.
Ich habe meine Rechner zu Hause auf Linux umgestellt. Für mich ist aktuell Ubuntu die Distribution, welche ich nutze. Ich habe eine Nextcloud, über welche meine Dateien, Kalender und vieles anderes läuft. Auch nutze ich keine Messenger mehr von einem großen Konzern, also die Apps, die alle kennen und nutzen. Mich hielten Menschen für verrückt. Vielleicht bin ich das ein wenig im Positiven. Aber nur weil ich keine populären Messenger auf meinen Geräten habe, hab ich dadurch keine Freunde verloren oder weniger Komfort. Ganz im Gegenteil, ich spare Geld und weiß, wo meine Daten liegen und habe viel mehr Kontrolle über sie. Ich denke, jeder, der sich im heutigen Internet bewegt, sollte sich klarmachen, dass es Zeit ist, wieder autonomer zu werden.
Ich erhalte mittlerweile sogar gelegentlich wieder SMS-Nachrichten, wenn man mir was per Text mitteilen möchte, ja, das gibt es auch noch und funktioniert. Aber vor allem habe ich hauptsächlich eines mehr: weniger Stress und mehr Ruhe und Zeit, um mich um reale und wichtige Themen zu kümmern.